Jessica

Legende wider Willen

JessicaEine Bandgeschichte wie diese hatte es bis 1984 nicht gegeben. Als ostberliner Newcomerband von der englischen TV-Sendung Tube (Tyne Tees Television) aufgespürt und per Video in England präsentiert, brach Jessica von der ersten Stunde an alle bis dahin in der DDR geltenden Regeln. Mit „Ich such’ einen Traum“ und dem gleich anschließend produzierten „Ich beobachte Dich“ erreichte die Band in einem halben Jahr absolute Popularität und stand in einer Linie mit den Rockgiganten des Landes.

Der Unterschied war – die Jungs um Tino Eisbrenner, den „Sänger mit der roten Mütze“ waren 10-20 Jahre jünger als die Puhdys, Karat, Silly oder City. Und damit spielten sie für ein gnadenlos euphorisches Publikum, das kaum jünger war als sie selbst. Tausende vorwiegend weibliche Fans flogen der Band zu. Schon Ende 1984 wurde sie laut Zeitungsumfragen die beliebteste Nachwuchsband des Landes, die inzwischen fast täglich große Livekonzerte gab, Filmmusik für das Fernsehen und die DEFA einspielte und mit „Bring mir die Sonne“ und „Mama“ Ende 1985 zwei weitere Superhits verzeichnete. Auch in jenem Jahr konnte den „Jessis“ niemand den Rang der beliebtesten Newcomer ablaufen. Spektakuläre Tourneen durch andere Ostblockstaaten hatten endgültig ihren Ehrgeiz geweckt – sie wollten auf dem internationalen Parcours mitmischen. 1986, anlässlich der bevorstehenden Veröffentlichung ihres hitgespickten ersten Albums Spieler, konzipierte Jessica eine gigantische Bühnenshow, die westlichen Pendants wie Duran Duran oder A-ha in nichts nachstand. Von nun an wollte die einstigen Schulfreunde in Tour- und Studiozyklen denken und sich dabei das Maximum abverlangen.

Für Album und Tournee luden sie sich Bläser und Backingvocals ein. Während der Spielertour absolvierten sie 90 Konzerte in 100 Tagen und bespielten etwa 300.000 Fans. Das Album verkaufte sich in 8 Wochen 180.000 mal ... Dann plötzlich, noch während der Tournee kamen Einberufungsbefehle zum Grundwehrdienst in der NVA. Kein Protest, kein Bittschreiben an die höchsten Stellen konnte helfen. Die zuständigen Behörden stellten sich taub.

Das so erfolgreiche erste Album wurde von der staatlichen Plattenfirma Amiga einfach nicht mehr aufgelegt, die Band auf diesem Weg „auf den Teppich zurück“ geholt. Als der Titelsong Spieler Ende 1986 die Hitparaden erklomm, war die Band bereits zerschlagen. Eine Band, die mehr als alles hätte erreichen können und die man nun zur Vergessenheit verurteilte. Aber die Geschichte forderte Satisfaktion. Vergessen sind heute die, deren kulturpolitische Entscheidungen Jessica hatten töten wollen. Geblieben sind die Hits und eine kleine Legende, deren Zukunft noch immer offen ist.

Diese Webseite verwendet Cookies, um Ihnen ein optimales Online-Erlebnis bieten zu können. Durch die Nutzung dieser Webseite erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden. Mehr Infos Datenschutzrichlinie.

Ich akzeptiere die Cookie Einstellungen dieser Seite.